„Verstaatlichung“ von Aussenbeziehungen: Verflechtung, Fremdwahrnehmungen und kommunikative Praktiken (Frankreich, das Alte Reich und die Eidgenossenschaft, 1648–1789)

Forschungsprojekt, finanziert durch den Schweizerischen Nationalfonds (abgeschlossen).

Team

Leitung

Mitarbeitende

Während das Absolutismus-Paradigma für die inneren Herrschaftsverhältnisse der westeuropäischen Monarchien seit den 1980er Jahren weitgehend dekonstruiert worden ist, betrachtet die Forschung zu den Mächtebeziehungen im 17. und 18. Jahrhundert die Aussenpolitik noch überwiegend als eine Art Reservatsbereich fürstlicher Autorität. Politische Aussenbeziehungen werden damit zumindest für die Zeit nach 1648 vielfach als Beziehungen zwischen souveränen Staaten im Rahmen eines „internationalen Systems“ betrachtet. Das Projekt fragt demgegenüber nach dem Umfang und den Grenzen zentralstaatlicher Monopolisierung von Aussenbeziehungen in der zweiten Hälfte des 17. und im 18. Jahrhundert. Dabei sollen bisher für die Zeit vom Westfälischen Frieden bis zur Französischen Revolution fast ausschliesslich an den inneren Herrschaftsverhältnissen erprobte Fragestellungen und Methoden der neueren Staatsbildungsforschung auch auf den Bereich der Aussenbeziehungen angewendet werden. Strukturelle Bedingungen und Praktiken der Kommunikation, grenzüberschreitende Verflechtungen, kulturell konditionierte Wahrnehmungen von Interaktionssituationen und diskursive Verortungen von Aussenbeziehungen sollen akteurszentriert, also aus der Perspektive der daran beteiligten Personen und Gruppen betrachtet werden. Im Fokus stehen Zeiten des Umbruchs, die Selbstverständliches ins Bewusstsein der Akteure treten liessen und damit Einblicke in bis dahin etablierte Praktiken und in Prozesse der Neuaushandlung von Normen bieten. Geographisch konzentriert sich das Projekt auf Frankreich, das Alte Reich und die Eidgenossenschaft, da die Forschung für diese Räume eine besondere Relevanz des Westfälischen Friedens auf die Ausgestaltung politischer Aussenbeziehungen im späten 17. und 18. Jahrhundert annimmt.

Abbildung: Ludwig XIV. empfängt die Botschafter der dreizehn Orte der Eidgenossenschaft (11. November 1663), dargestellt von Adam Frans van der Meulen

Im Rahmen der Teilprojekte soll die Frage nach der „Verstaatlichung“ von Aussenbeziehungen nach folgenden sich ergänzenden und teilweise überlappenden Gesichtspunkten untersucht werden:

Der Fokus liegt zunächst auf der wechselseitigen Verflechtung der an der Ausgestaltung politischer Aussenbeziehungen beteiligten Akteure. Dabei geraten lokale und grenzüberschreitende personale Netzwerke sowohl von Gesandten oder Magistraten als auch von Akteuren ohne formelles Amt, etwa Hochadlige oder Solddienstoffiziere, in den Blick. Gefragt wird nach der Art der Beziehungen und der durch sie ausgetauschten materiellen, symbolischen oder informationellen Ressourcen. Von besonderer Bedeutung ist zudem die Frage nach dem Umgang der Akteure mit multiplen Loyalitäten und der (abnehmenden?) Legitimität von Aussenverflechtung in andere Herrschaftsräume.

Ein weiterer Untersuchungsfokus liegt auf der Frage nach der Wahrnehmung fremder politischer Kulturen durch diplomatische Akteure und den damit gegebenen Interaktionsmöglichkeiten in den Aussenbeziehungen. Dieser Frage kommt im Kontext von Beziehungen zwischen politischen Entitäten besondere Bedeutung zu, die sich sowohl hinsichtlich der inneren Herrschaftsorganisation als auch hinsichtlich des Status in der europäischen Ordnung deutlich voneinander unterschiedlichen. In den Fokus der Betrachtung rückt dabei die Frage, inwiefern sich mit der Rezeption von Modellen zwischenstaatlicher Interaktion – etwa „Souveränität“ oder „Neutralität“ – der Blick auf das politisch Fremde veränderte und in welchem Umfang damit neue Möglichkeiten der Interaktion zwischen Herrschaftsverbänden in einem sich ausdifferenzierenden politischen System geschaffen wurden.

Das Projekt fragt drittens nach den strukturellen Bedingungen und effektiven Praktiken der Kommunikation zwischen den an der Gestaltung politischer Aussenbeziehungen beteiligten Akteure. In den Fokus rücken dabei die durch personale Netzwerke generierten Informationen, die (diskursive oder symbolische) Repräsentation von staatlichen oder personalen Beziehungen sowie Interaktionsprozesse in diplomatischen Verhandlungen. Dabei stellt sich insbesondere die Frage nach dem Umfang und der prozessualen Durchsetzung explizit staatlicher zuungunsten von als privat oder nichtstaatlich angesehenen Kommunikationcodes und -kanälen im Verlauf des späten 17. und 18. Jahrhunderts.

Teilprojekte

Die genannten Fragestellungen sollen in vier Teilprojekten zu einem weltlichen und zwei geistlichen Ständen des Heiligen Römischen Reiches, zu den dreizehn Orten der Eidgenossenschaft und zum Fürstentum Neuchâtel untersucht werden. Im Mittelpunkt steht jeweils das Verhältnis zur französischen Krone, das in allen vier Teilprojekten im Kontext der konkurrierenden Beziehungsnetze anderer Mächte betrachtet wird. Als wichtigste Quellengrundlage dienen dabei Gesandtenkorrespondenzen sowie parallele Briefwechsel aus Privatnachlässen oder Familienarchiven, aus welchen sich besondere Rückschlüsse auf die informellen Aspekte von Aussenbeziehungen ziehen lassen.

A) Frankreich und die geistlichen Reichsstände Köln und Mainz in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts

abgeschlossen
Tilman Haug

Die Ergebnisse dieses Projekts wurden in folgendem Werk veröffentlicht:
Ungleiche Außenbeziehungen und grenzüberschreitende Patronage. Die französische Krone und die geistlichen Kurfürsten (1648–1679) (Externa. Geschichte der Aussenbeziehungen in neuen Perspektiven, Bd. 6), Köln / Weimar / Wien, Böhlau Verlag, 2015.

Die Studie behandelt anhand der Beziehungen der französischen Krone zu den Höfen und Kapiteln der Kurfürsten von Köln und Mainz sowie Patronageverhältnissen von deren Amtsträgern zum französischen König und seinen Ministern in den ersten Jahrzehnten nach dem Westfälischen Frieden, das Ineinandergreifen "mikro -" und "makropolitischer" Handlungslogiken in frühneuzeitlichen Außenbeziehungen. Der Autor untersucht das Wechselverhältnis zwischen formellen und informellen Beziehungen und fragt danach, wie Akteure Vertrauen zueinander herstellten. Er zeigt auch, auf welche oft widersprüchlichen Normen man sich stützte, um die Beziehungen aufrechtzuerhalten oder wie politische Konkurrenten diese als Korruption und Verrat verurteilten.

 

B) Frankreich und der bayerische Hof in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts

Julia Schwarz

Das Projekt untersucht die Aussenbeziehungen zwischen Frankreich und dem Bayerischen Hof unter der Herrschaft des Kurfürsten Ferdinand Maria (1651–1679). Seine Politik gestaltete sich unter dem Einfluss der Kurfürstin Maria Anna und des Hofmarschalls Graf Maximilian Kurtz in den ersten Jahren prohabsburgisch, wobei sowohl Verwandtschaftsbeziehungen als auch die ständige diplomatische Vertretung des Wiener Hofes eine Rolle spielten. Anschließend erlangte eine französisch-savoyische Faktion unter Hofmarschall Hermann Egon von Fürstenberg und Kurfürstin Henriette Adelaïde von Savoyen beherrschenden Einfluss. Die Kooperation gipfelte 1670 in einem bayerisch-französischen Vertragsabschluss, der 1679 mit einer Heiratsallianz zwischen der Schwester des Kurfürsten Max Emanuel und dem französischen Dauphin bekräftigt wurde. Zudem erhielt Bayern als einziger Hof im Reich einen hochadeligen Gesandten.

C) Frankreich und die dreizehn Orte der Eidgenossenschaft im frühen 18. Jahrhundert

Andreas Affolter

Das Projekt untersucht verschiedene Ebenen der Aussenbeziehungen zwischen Frankreich und den Orten der Eidgenossenschaft während der Ambassade von Claude-Théophile de Bésiade, Marquis d’Avaray (1716–1726). Ins Blickfeld gerückt werden zum einen die Beziehungen zwischen den souveränen Obrigkeiten der eidgenössischen Republiken und dem französischen Hof, zum andern d’Avarays anhand seiner umfangreichen Korrespondenz mit Magistraten fassbares personales Netzwerk in der Eidgenossenschaft. Gefragt wird, wie sich die unterschiedliche politische Kultur der eidgenössischen Orte – Staatsverständnis, Konfession, Stadt- bzw. Länderort – auf die Organisation der Aussenbeziehungen auswirkten. Der Vergleich soll es ermöglichen, sowohl die unterschiedliche Ausprägung der „Verstaatlichung“ von Aussenbeziehungen im frühen 18. Jahrhundert wie auch die sie beeinflussenden Faktoren zu untersuchen.

D) Aussenbeziehungen als kommunikative Praxis. Das Fürstentum Neuchâtel und die französisch-preussischen Beziehungen im 18. Jahrhundert

abgeschlossen
Nadir Weber

Die Ergebnisse dieses Projekts werden 2015 in folgendem Werk veröffentlicht:
Lokale Interessen und grosse Strategie. Das Fürstentum Neuchâtel und die politischen Beziehungen der Könige von Preussen (1707-1806) (Externa. Geschichte der Aussenbeziehungen in neuen Perspektiven), Köln / Weimar / Wien, Böhlau Verlag, 2015.

Das Fürstentum Neuchâtel gelangte 1707 in den Besitz der Könige von Preußen. Die Herrschaft über das weit von Berlin entfernte Territorium wurde in einem engen Wechselspiel mit auswärtigen Mächten auf-rechterhalten und zugleich eingeschränkt. Nebst dem Hof unterhielten auch lokale Ratsgremien und Korpo-rationen Beziehungen zu fremden Obrigkeiten, teils als Delegierte des Souveräns, teils als außenpolitische Akteure eigenen Rechts. Angehörige der Neuenburger Elite partizipierten zudem als Gesandte oder Berater direkt an Verhandlungen der königlichen Diplomatie. Deren wachsendes Gewicht wussten sie entsprechend immer wieder für die Verfolgung ihrer grenzüberschreitenden ökonomischen und politischen Interessen zu nutzen. Im Gegenzug konnten die Könige von Preußen über den Besitz des kleinen Grenzterritoriums ihre politischen Beziehungen nach Frankreich und in die Eidgenossenschaft substantiell vertiefen und damit den Aktionsradius ihrer Machtpolitik auf dem europäischen Kontinent erweitern.