Ein Human Rights Turn in der internationalen Geschlechterpolitik der Zwischenkriegszeit? Menschenrechte, Frauenbewegung und der Völkerbund

Forschungsprojekt finanziert durch den Schweizerischen Nationalfonds, Beginn: 1. März 2011

Leitung

Doktorierende

  • Elife Biçer-Deveci
  • Dr. des. Edith Siegenthaler

In den 1990er Jahren hat die Kampagne "Women's Rights Are Human Rights" Geschlechtergerechtigkeit zum globalen Anspruch erhoben. In ihrer tautologischen Formulierung zielte die Parole auf Widersprüche in der herkömmlichen Menschenrechtsauffassung, so die Diskrepanz zwischen universalem Ethos und einer Rechtspraxis, die blind war für frauenspezifische Missbräuche. Seither hat sich eine menschenrechtliche Wende in der internationalen Geschlechterpolitik abgezeichnet. Vor diesem Hintergrund hat das vorliegende Projekt eine doppelte Zielsetzung: Erstens will es zu einem bessern Verständnis der komplexen Geschichte der Menschenrechte beitragen. Der Forschungsschwerpunkt liegt dabei auf der Zwischenkriegszeit, denn mit dem Völkerbund entstand 1919 erstmals eine internationale Organisation mit globaler Regelungskompetenz. In verschiedenen Bereichen der Völkerbundstätigkeit zeichnete sich ansatzweise eine menschenrechtliche Wende ab, die hier mit Blick auf das Geschlechterverhältnis Gegenstand einer kritischen Aufarbeitung sein soll. Ein Teilprojekt konzentriert sich auf die internationalen Frauenorganisationen; das zweite Teilprojekt ist dem Thema des Frauenhandels gewidmet, dessen Bekämpfung ab 1919 in den Zuständigkeitsbereich des Völkerbundes fiel. Zweitens richtet sich das Erkenntnisinteresse auf die Sprache der Menschenrechte und geht von der Annahme aus, dass dieser Sprache ihres Universalitätsanspruchs wegen die Möglichkeit transnationaler Kommunikation innewohnte und sie die Übersetzung von bisher als partikulär verstandenen Anliegen, wie Frauenrechte, in allgemeine Geltungsansprüche erlaubte. Die menschenrechtliche Semantik, so die forschungsleitende These, stellte einen Code bereit, der spezifische Reformanliegen mit einem globalen Ethos assoziierte und an den Internationalismus der Zeit anschlussfähig machte. Menschenrechte haben in jüngster Zeit als globales Normensystem einen massiven Bedeutungszuwachs erfahren. Dass das keine lineare Entwicklung ist, sondern mit Rückschlägen verbunden und von heftigen Kontroversen über den konkreten Inhalt der Normen begleitet ist, haben die jüngsten Erfahrungen ebenfalls gezeigt. Dieser neuartigen Bedeutung der Menschenrechte stehen nach wie vor historische Forschungsdefizite gegenüber. Als Beitrag zur Geschichte der Menschenrechte trägt dieses Projekt zum besseren Verständnis der historischen Rolle von Menschenrechten in der internationalen Politik bei. Mit seinem besonderen Fokus auf menschenrechtliche Wenden in der Geschlechterpolitik stellt es auch neue Erkenntnisse zur geschlechtsspezifischen Re-codierung der Menschenrechte in Aussicht.