Projekt:
Nach moderner Auffassung ist politische Korruption ein illegaler Bestechungsvorgang, der ausserhalb der Öffentlichkeit geschieht und den Zweck verfolgt, dass ein politischer Akteur in einem bestimmten Sinn handelt oder Handlungen unterlässt. Die Forschung ging bislang davon aus, dass es in der Vormoderne keine derart eindeutige Grenzziehung gab, sondern dass für die Zeit vor 1800 von einer pragmatischen Normenvielfalt auszugehen sei, die den Akteuren mehr Spielraum ermöglichte und für die Korruption als Analysekonzept unangebracht sei.
Das Forschungsprojekt untersucht anhand von Wahlen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, ob und von welchen Vorstellungen von Korruption sie begleitet waren und mit welchen Vorkehrungen Wahlmanipulationen verhindert werden sollten. Dazu werden die Wahlen in zwei oligarchischen Stadtstaaten von 1500-1700 untersucht, Bern und Venedig. In beiden Städten folgt auf eine sehr erfolgreiche Expansionspolitik ab 1500 die Stabilisierung und Stagnation, in der nunmehr die vorhandenen Ressourcen unter einem zahlenmässig begrenzten Patriziat zu verteilen sind. Der Ämterbesetzung und Ämterrotation kommt in diesem Kontext eine entscheidende Rolle zu. In beiden Städten liegt die Wahlkontrolle bei einer kleinen Gruppe von Entscheidungsträgern: der Vennerkammer in Bern und dem Rat der Zehn in Venedig, die Einblick und Einfluss in nahezu alle Regierungsgeschäfte nehmen. Der Untersuchungszeitraum ist geprägt durch die Versuche der anderen Ratsmitglieder, die Machtkompetenzen der Vennerkammer und des Zehnerrates zurückzustutzen, bis hin zu deren spektakulärem Sturz um 1700, der von umfassenden Korruptionsanklagen begleitet ist. Im Ringen um die Wahlkontrolle ist das Bemühen um Eindämmung von Korruption und paritätischer Reform der Oligarchien zu erkennen.
Diesen Prozess wird das Forschungsprojekt in drei Perspektiven untersuchen. Maud Harivel untersucht in ihrer Dissertation die Wahlreglemente in Venedig, insbesondere die Gesetzgebung über den "broglio", die Wahlmanipulation. Es wird also die Amtsführung einzelner Zehner und das Selbstverständnis des Zehnerrates ins Visier genommen.Florian Schmitz befasst sich mit den Wahlreglementen in Bern, mit den Eidformeln und der Amtsführung einzelner Venner.Simona Slanicka erforscht die Aussenwahrnehmung der beiden Stadtstaaten, die sich in Ambassadorenbriefen, Reiseberichten und politischen Denkschriften artikuliert. Ziel ist es, die Rolle und Tragweite von Korruptionsargumenten bei der Stabilisierung, Destabilisierung und dem Wandel von politischen Systemen, insbesondere von Oligarchien in der Frühen Neuzeit aufzuklären.