Lokale Frömmigkeitskulturen und translokaler Katholizismus. Gnadenorte in der katholischen Eidgenossenschaft und in den Drei Bünden (ca. 1560-1750)

Forschungsprojekt
Mai 2013 bis Oktober 2015
finanziert durch den Schweizerischen Nationalfonds

Team

Leiter

Mitarbeiter

Das Projekt möchte einen Beitrag zur Erforschung katholischer Frömmigkeitskulturen im konfessionellen Zeitalter leisten. Geographisch konzentriert sich das Projekt auf den schweizerischen Raum, dessen Sakrallandschaft von einer Vielzahl von Gnaden- und Wallfahrtsorten unterschiedlicher Grösse geprägt war. Diese Orte, definiert als Kirchen, Kapellen und Andachtsplätze, an denen Gebetserhörungen dokumentiert sind, wurden bislang vor allem aus volkskundlicher und kunsthistorischer Perspektive untersucht, während sie von der neueren sozial- und kulturgeschichtlich orientierten Forschung eher selten berücksichtigt worden sind. Für die Erforschung katholischer Frömmigkeitskulturen eignen sie sich indessen in besonderem Masse, da konkrete Heilsbedürfnisse der Gläubigen, unterschiedliche Frömmigkeitspraktiken sowie der Einfluss vielfältiger Interaktionen sichtbar werden.

Ausgangspunkt des Projekts bildet die These, dass die Frömmigkeitskulturen im schweizerischen Raum einerseits von im lokalen Kontext verankerten Akteuren, andererseits durch die sich nach dem Konzil von Trient (1545-1563) neu formierende römische Konfessionskirche sowie den Einfluss des französischen, des spanisch-mailändischen und des österreichisch-habsburgischen Regionalkatholizismus geprägt wurden. Gefragt wird einerseits nach den Möglichkeiten und Grenzen der Integration lokaler Kultformen in den nachtridentinischen Katholizismus, andererseits nach der Durchsetzung und den Strategien der Aneignung neuer Frömmigkeitsformen. Mit diesem doppelten Fokus auf lokale Formen des Katholizismus und deren Einbindung in translokale Beziehungsgeflechte sollen die katholischen Frömmigkeitskulturen als Ergebnis von Interaktionen zwischen kirchlichen und weltlichen Akteuren beschrieben werden, die mit unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten an der Ausgestaltung der Frömmigkeitskulturen mitwirkten.

Methodisch orientiert sich das Projekt an der historischen Verflechtungsforschung und an neueren Studien zu kulturellem Austausch und Kulturtransfer. Im Fokus der Untersuchungen stehen Interaktionen zwischen kirchlichen und weltlichen Akteuren, die sich mit unterschiedlichen Handlungsspielräumen an der Ausgestaltung der katholischen Frömmigkeitskulturen beteiligten. Die durch diese Interaktionen hervorgerufenen Austauschbeziehungen sollen dabei als kulturelle Übersetzungsprozesse verstanden werden, wie sie beispielsweise in den Vermittlungen von Kultgegenständen und deren Integration in lokale Frömmigkeitstraditionen sichtbar werden. Damit versucht das Projekt, das Innovationspotential der neueren Konfessionalisierungs- und Katholizismusforschung und jenes der Aussenbeziehungsforschung für eine konfessionsgeschichtliche Fragestellung nutzbar zu machen.

Die Untersuchungen erfolgen in zwei sich ergänzenden Subprojekten zur katholischen Eidgenossenschaft und zu den Drei Bünden, die einen partiellen Vergleich zwischen unterschiedlich strukturierten Gebieten ermöglichen.

Teilprojekt 1: Wallfahrtsorte in der katholischen Eidgenossenschaft

Bearbeiter: Daniel Sidler

Die Ergebnisse dieses Projekts wurden in folgendem Werk veröffentlicht:
Daniel Sidler, Heiligkeit aushandeln. Katholische Reform und lokale Glaubenspraxis in der Eidgenossenschaft (1560-1790) (Historische Studien, Bd. 75), Frankfurt am Main / New York, Campus Verlag, 2017.

Das Projekt untersucht die Um- und barocke Ausgestaltung ausgewählter Wallfahrtsorte und damit verbundener Glaubenspraktiken in der katholischen Eidgenossenschaft insbesondere im 17. und frühen 18. Jahrhundert. Ausgehend von den an diesen Prozessen beteiligten Akteuren sollen Wechselwirkungen zwischen Entwicklungen im lokalen Raum, in grösseren regionalkatholischen Kontexten und an der römischen Kurie untersucht werden. Erkenntnisleitend ist dabei die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Integration lokaler Frömmigkeitskulte in den tridentinisch erneuerten Katholizismus einerseits, von aussen an die katholische Eidgenossenschaft herangetragenen Kultformen in die lokalen Frömmigkeitstraditionen andererseits. Einen besonderen Schwerpunkt bilden dabei die im Untersuchungsraum besonders bedeutenden Gnadenorte, die um „im Ruf der Heiligkeit“ verstorbene lokale Kultfiguren entstanden.

 

Teilprojekt 2: Gnadenorte in den Drei Bünden und ihren südlichen Untertanengebieten

Bearbeiter: Philipp Zwyssig

Die Ergebnisse dieses Projekts wurden in folgendem Werk veröffentlicht:
Philipp Zwyssig, Täler voller Wunder. Eine katholische Verflechtungsgeschichte der Drei Bünde und des Veltlins (17. und 18. Jahrhundert) (Kulturgeschichten. Studien zur Frühen Neuzeit, Bd. 5), Affalterbach, Didymos Verlag, 2018.

Die barocke Sakrallandschaft in den Drei Bünden und ihren südlichen Untertanengebieten war geprägt von einer Vielzahl von kleinen Gnadenorten mit lokal oder regional begrenzten Einzugsgebieten. Neu errichtet oder nach den Vorstellungen der nachtridentinischen Kirche umgestaltet wurden diese Gnadenorte in einer Zeit, in der verschiedene kirchliche und weltliche Akteure von aussen Einfluss auf die kirchlich-religiösen Verhältnisse im rätischen Alpenraum zu nehmen versuchten. Das Projekt untersucht diese grenzübergreifenden Beziehungen auf Grundlage von Quellenbeständen aus Rom, Mailand, Como und Chur hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Formierung von Frömmigkeitskulturen barocker Prägung. Damit soll es möglich werden, die von der bisherigen Forschung in den Vordergrund gerückten lokalspezifischen Eigenheiten des Bündner Katholizismus in ihren Wechselbeziehungen mit den kulturellen und religionspolitischen Entwicklungen des übrigen katholischen Europas zu rekonstruieren.