Weibliche Diplomatie? Frauen als aussenpolitische Akteurinnen (18. Jahrhundert)

Forschungsprojekt, finanziert durch den Schweizerischen Nationalfonds (abgeschlossen)

Leitung

Weibliche Protagonisten als aussenpolitische Akteurinnen sind bislang von der historischen Forschung nicht systematisch untersucht worden. Das Projekt geht von der Grundannahme aus, dass frühneuzeitliche Aussenbeziehungen akteurszentriert betrachtet werden müssen. Das bedeutet, dass nicht von Staaten als geschlossenen Entitäten ausgegangen wird, sondern die an den Aussenbeziehungen beteiligten Personen und Gruppen in ihren sozialen Bindungen und Beziehungen und den daraus resultierenden Handlungsweisen betrachtet werden. Das Projekt setzt bei Frauen am Hof an, die im Rahmen von drei Dissertationen untersucht werden sollen. Hofdamen, Fürstengattinnen und Mätressen werden zunächst in ihrer Verortung in der sozialen Konfiguration des Hofes betrachtet, um darauf aufbauend ihre grenzüberschreitenden Einflussmöglichkeiten zu analysieren. Es wird der Fokus auf die Frage gelegt, inwieweit Frauen bzw. Netzwerke von Frauen auf die frühneuzeitliche Aussenpolitik Einfluss nahmen und wie autonom sie auf der diplomatischen Bühne agieren konnten. Kann von einer „doppelten Diplomatie“ gesprochen werden, in welcher grenzüberschreitende Beziehungen von Frauen als informelle Seite der Diplomatie die (männlich besetzte) offizielle Diplomatie ergänzten? Und in welcher Beziehung und Rangfolge standen diese beiden Formen von Aussenkontakten zueinander? Weiterhin ist zu untersuchen, mit welchen rhetorischen und performativen Strategien Frauen aussenpolitischen Einfluss zu legitimieren bzw. gegen Kritik zu verteidigen oder zu verschleiern versuchten.

Teilprojekte

Projekt 1: Doppelte Diplomatie: Die französisch-spanischen Beziehungsnetze der Madame de Maintenon und der Madame des Ursins während des Spanischen Erbfolgekrieges

Corina Bastian

Die Ergebnisse dieses Projekts wurden in folgendem Werk veröffentlicht:
Verhandeln in Briefen. Frauen in der höfischen Diplomatie des frühen 18. Jahrhunderts (Externa. Geschichte der Aussenbeziehungen in neuen Perspektiven, Bd. 4), Köln / Weimar / Wien, Böhlau Verlag, 2013.

Mit der Thronbesteigung Philipps von Anjou, Enkel Ludwigs XIV., wurde in Spanien nach dem Tod des kinderlosen habsburgischen Königs Karls II. eine bourbonische Dynastie installiert. Parallel dazu erhob aber auch der Enkel des spanischen Königs Philipps IV., Erzherzog Karl, als Kandidat Österreichs Anspruch auf den spanischen Thron. Diese konkurrierenden Ansprüche wurden von 1700 bis 1715 im Spanischen Erbfolgekrieg ausgefochten. Auf der Ebene der europäischen Politik ging es darum, ob sich eine bourbonische Suprematie etablieren oder aber ein Gleichgewicht der Mächte durchsetzen liesse.

Eine zentrale Rolle im Verhältnis zwischen den beiden bourbonischen Höfen spielte Anne-Marie de La Trémoille (1642-1722), nach ihrer zweiten Heirat mit Flavio Orsini bekannt als Madame des Ursins. Sie begleitete auf Wunsch Ludwigs XIV. die erst dreizehnjährige Gattin Philipps V., Marie Louise, an den Hof von Madrid. Als camarera mayor hatte sie zur Königin ständigen Zugang. Ihr Einfluss auf das spanische Königspaar kann als sehr stark charakterisiert werden. Madame des Ursins führte mit der morganatischen Ehefrau Ludwigs XIV., Madame de Maintenon, von 1705 an eine zehn Jahre andauernde, wöchentliche Korrespondenz. Wie die Ursins am spanisch-bourbonischen Hof, hatte die Maintenon in Frankreich die königliche Patronage weitgehend monopolisiert. Der Briefwechsel zwischen den beiden Frauen ist nahezu vollständig erhalten.

Es besteht angesichts dieser Quellenlage die selten zu findende Möglichkeit, vergleichend offizielle und inoffizielle Kanäle diplomatischer Korrespondenz über einen längeren Zeitraum erschöpfend auszuwerten. Im Zentrum der Auswertung soll die Frage stehen, inwieweit die beiden Frauen über aussenpolitische Vorgänge informiert waren – also Zugang zum Machtfaktor Wissen hatten – und inwieweit und mit welchen Mitteln sie sich aktiv in die politischen Vorgänge einzuschalten vermochten. Zu den Mitteln sind einerseits das politische Handeln in Netzwerken und die Nutzung des Zugangs zum Herrscher zu zählen. Andererseits sind auch rhetorische Strategien weiblicher Einflussnahme in den Blick zu nehmen. Gerade Madame de Maintenon scheint den Verweis auf ihre weibliche Schwäche gezielt genutzt zu haben, um Kritik an ihrer zentralen Stellung bei Hof abzuwehren. Die Hintergrundfolie des Spanischen Erbfolgekrieges ist geeignet, den Einfluss informell-weiblicher Diplomatie auf genuin makropolitische Vorgänge auszuleuchten. Es ist zu klären, inwieweit die weibliche Diplomatie tatsächlich einen unabhängigen, eigene Ziele verfolgenden Strang in den Aussenbeziehungen darstellen konnte bzw. überhaupt wollte. Möglicherweise waren die beiden Frauen letztlich auch nur den Zielen der offiziellen Diplomatie unterworfen. Zusammengefasst sollen also Handlungs- und Ausdrucksmöglichkeiten weiblicher Diplomatie und das Ausmass ihrer Autonomie gegenüber der offiziellen Sphäre analysiert werden. Der Institutionalisierungsprozess des Staates im Allgemeinen und der Diplomatie im Besonderen werden dabei besondere Berücksichtigung finden.

Poster Historikertag

Poster zum Dissertationsprojekt "Weibliche Diplomatie? Mme de Maintenon und die Princesse des Ursins während des Spanischen Erbfolgekrieges (1701-1714)" von Corina Bastian.

 

Am 47. Deutschen Historikertag 2008 in Dresden als bestes Doktorandenposter mit dem ersten Preis ausgezeichnet.

Projekt 2: Diplomaten in den Beziehungsnetzen der Madame de Pompadour

Eva Kathrin Dade

Die Ergebnisse dieses Projekts wurden in folgendem Werk veröffentlicht:
Madame de Pompadour. Die Mätresse und die Diplomatie (Externa. Geschichte der Aussenbeziehungen in neuen Perspektiven, Bd. 2), Köln / Weimar / Wien, Böhlau Verlag, 2010.

Am französischen Hof waren bereits seit Ludwig XIV. Frauen – insbesondere Mätressen – als Beziehungsmaklerinnen aktiv. In diesem Teilprojekt wird die entsprechende Rolle der Madame de Pompadour untersucht. Sie war von 1745 bis 1764 Mätresse Ludwigs XV. Ihre Nähe zum Herrscher und ihr hoher Einfluss auf personelle und politische Fragen am französischen Hof liessen auch Diplomaten den Kontakt zu ihr suchen. Sie versprachen sich von ihr Unterstützung bei der Umsetzung ihrer Anliegen an die französische Krone. Um die Beziehungen zwischen der Mätresse und den Vertretern auswärtiger Mächte nachzuvollziehen, sollen die Korrespondenzen der Gesandten aus Wien, Brandenburg-Preussen, Kurbayern, England und Spanien mit ihren jeweiligen Auftraggebern ausgewertet werden. Erfolgversprechend ist eine solche vergleichende Perspektive vor allem deshalb, weil es mit dem Renversement des alliances von 1756, dem Abschluss eines bis dato undenkbaren französisch-österreichischen Bündnisses, zu einer völligen Neuordnung der französischen Aussenbeziehungen kam. Die Analyse dieses diplomatischen Ereignisses lässt Aufschlüsse über die Bedeutung mikropolitischen Handelns für die vermeintlich autonome Sphäre der „grossen Politik“ erwarten.

Aus der Perspektive der Diplomaten soll geklärt werden, wie die Kontaktsuche über die Mätresse vor sich ging, wie die Beziehung zu ihr hergestellt und wie sie gepflegt wurde. Von Bedeutung für den Charakter der Netzwerke der Mätresse ist auch die Frage nach Dauer und Art der Beziehung: Handelte es sich nur um sporadische Kontakte, oder versuchten die Diplomaten, ein dauerhaftes Verhältnis aufzubauen? Weiterhin soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Mätresse allein als Mittlerin auftrat, oder ob sie tatsächlich politische Entscheidungen beeinflussen konnte – und wenn ja, ob dieser Einfluss auf bestimmte Politikfelder beschränkt blieb. Diese Fragen sind stets im Vergleich zu möglichen Alternativen zur Mätresse zu stellen. Es ist zu untersuchen, welche alternativen Ansprechpartner und Beziehungsmakler den Gesandten zur Verfügung standen. Darüber hinaus ist die Frage zu verfolgen, inwieweit die im 18. Jahrhundert fortschreitende Trennung zwischen Privatsphäre und politischer Öffentlichkeit und die zunehmende Bürokratisierung weibliche Handlungsspielräume beschränkten.

Die im Frühjahr 2009 abgeschlossene Dissertation wurde mit dem Preis des Arbeitskreises Historische Frauen- und Geschlechterforschung e.V ausgezeichnet. Unter dem Titel "Madame de Pompadour: Die Mätresse und die Diplomatie" erscheint die Studie im Frühjahr 2010 als Band 2 der Reihe "Externa. Geschichte der Aussenbeziehungen in neuen Perspektiven" bei Böhlau in Köln.

Projekt 3: Elisabetta Farnese, Königin von Spanien (1714-1746), als aussenpolitische Akteurin

Eva Ott

Das dritte Teilprojekt schliesst chronologisch an Projekt 1 an: Elisabetta Farnese (span. Isabel Farnesio) kam 1714 als zweite Frau Philipps V. nach Spanien. Sie bestimmte bis zum Tod des Königs wesentlich die Aussenbeziehungen, die Personalpolitik und die Kunstpatronage des Hofs. Ihre erste Handlung auf diesem Gebiet, noch vor ihrer Ankunft in Madrid, war die Ausweisung der Madame des Ursins aus Spanien und damit die Schwächung der „französischen“ Faktion am Hof. Ihr grosser Einfluss auf den König und ihr hohes aussenpolitisches Gewicht sind in der Forschung unumstritten. Es fehlen jedoch Untersuchungen über ihre Netzwerke bzw. Faktionen und ausgewogene Beurteilungen ihres Handelns. In der Historiographie ist sie als dominante Gattin des zunehmend in Umnachtung fallenden Königs beschrieben worden. In der Regel als „la parmesana“ tituliert, gilt sie als verantwortungslose Interessenpolitikerin, die ihre eigene Italienbindung über die „wahren“ (machtpolitischen) Interessen der Katholischen Monarchie gestellt habe. Lediglich Henry Kamen hat jüngst ihre Allmacht über Philipp V. bestritten, ohne allerdings ihr Einflusspotential befriedigend zu untersuchen.

Es erscheint daher geboten, ihre tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten auszuloten. Dabei ist insbesondere ihr Verhältnis zu den Günstling-Ministern entscheidend; an erster Stelle ist Giulio Maria Alberoni zu nennen. Dieser hatte als Gesandter des Herzogs von Parma die Heirat von dessen Nichte mit Philipp V. eingefädelt und stieg anschliessend zum Günstling-Minister der Krone auf. Gleichzeitig führte er seine ausserordentlich dichte Korrespondenz mit dem Herzog von Parma fort. Zu untersuchen ist, ob Alberoni oder die Königin in den Jahren ab 1714 die zentrale Figur einer „italienischen“ Faktion am Hof waren bzw. ob die Königin sukzessive Kontrolle über die zunächst vom Günstling-Minister (oder gar indirekt vom Herzog von Parma) dominierten Netzwerke zu erlangen vermochte. Dabei ist insbesondere ihre Rolle in der 1717 durchgeführten Neuordnung der zentralen Verwaltung (Schaffung von drei Ministerien) zu beleuchten. Weiterhin ist zu untersuchen, inwieweit und aus welchen Motiven heraus die Königin am Sturz Alberonis im Jahr 1719 beteiligt war und ob sie ihre Stellung am Hof unter den folgenden Günstling-Ministern ausbauen konnte. Schliesslich ist ihr Anteil an der spanischen Aussenpolitik zu untersuchen, insbesondere im Hinblick auf die Politik in Italien, die in der Wiedergewinnung eines Grossteils der im Frieden von Utrecht abgetretenen Territorien gipfelte. Die Netzwerkanalyse, die damit erstmals auf den spanisch-bourbonischen Hof angewendet wird, verspricht Erkenntnisse zu liefern über die Position der Königin in der Figuration des Hofes, ihr Verhältnis zu den Günstling-Ministern, die Bindungen an ihre parmesische Herkunftsfamilie und ihre Rolle in den Faktionskämpfen am Hof („italienische“ gegen „französische“ und gegen „kastilische“ Faktion). Dabei soll einerseits die Patronage der Königin analysiert werden, andererseits sind die Hoffaktionen durch eine vergleichende Analyse von Gesandtenberichten zu identifizieren, wobei vor allem auf den Beichtvater des Königs als alternativem Machtpol am Hof zu achten ist.

Schliesslich sind die Legitimationsstrategien der Königin in den Blick zu nehmen. Bekannt ist, dass die Königin den Vorwurf, sie dominiere die Politik der Krone, abzuwehren versuchte, indem sie betonte, stets nur dem Willen ihres Gatten folgend zu handeln. Hier könnte, ähnlich wie im Fall von Madame de Maintenon (vgl. Teilprojekt 1), eine Strategie zur Abwehr von Kritik an ihrem Einfluss auf den König vorliegen. Die drei Teilprojekte können somit im Vergleich Handlungsrahmen und Legitimationsgrundlage „weiblicher Diplomatie“ bestimmen.