Im Fokus steht der Wandel des Arbeitsmanagements und der industriellen Beziehungen. Der forschende Blick richtet sich zum einen auf die Zürcher Konzernzentrale, auf die «préoccupations» (Yves Cohen), mit denen das Topmanagement Probleme definierte, sich auf die zukünftige Aktion ausrichtete und die Machtressourcen anderer Akteur:innen zu antizipieren versuchte. Zum anderen werden die Alusuisse-Standorte in Australien, Italien und der Schweiz herangezoomt, um die Interaktion von Arbeitskräften, Management und staatlichen Stellen zu untersuchen. Die empirische Basis bietet dabei das 2016 zugänglich gemachte Firmenarchiv der Alusuisse. Ergänzend werden Quellen aus regionalen Archiven aus der Schweiz und Italien, private Nachlässe und Zeitzeugengespräche berücksichtigt.
Das Forschungsprojekt beleuchtet die Planungseuphorie der Alusuisse-Manager in den 1960er-Jahren anhand der Expansion von Alusuisse nach Australien. Dort stampfte der Schweizer Konzern eine ganze Stadt aus dem Boden – ohne die Zustimmung der vor Ort lebenden Aborigines. Das Management hoffte durch streikpräventive Technologien und einen suburbane städtebauliche Raumordnung, einen Standort der Superlativen zu erschaffen. Dieser entpuppte sich aber als nachteilige Risikokonzentration. Denn Alusuisse war stark abhängig von den in Australien hergestellten Rohmaterialien. Streiks, eine hohe Fluktuation der Bewohner:innen und Währungsschwankungen bedrohten ab den 1970er Jahren die Profitabilität des Standorts.
1972 schloss Alusuisse ihre Aluminafabrik in Italien, was in der betroffenen Region eine Phase der Deindustrialisierung einläutete. Der Schweizer Aluminiumkonzern hatte es in Italien mit einer kämpferischen Belegschaft zu tun. Von den massiven Arbeitskämpfen des Heissen Herbstes 1969 angespornt, forderten die Arbeiter:innen Gesundheits- und Umweltschutz sowie ein Ende von Leistungsanreizen und betrieblichen Hierarchien. Das Management von Alusuisse sah derweil ihre unternehmerischen Freiheiten in Gefahr, beklagte zahlreiche Streiks und eine kritische Öffentlichkeit. In Italien experimentierte das Unternehmen mit einer konfrontativen Strategie und versuchte die Betriebe zu restrukturieren. Dies führte zu einer Eskalation. Streiks legten die Betriebe lahm und erst das Versprechen des Staates die Löhne fortzuzahlen, neue Stellen zu schaffen und die Betriebe zu übernehmen, beendete den Konflikt. Alusuisse zog sich aus Italien zurück.
In den Walliser Werken mehrten sich ab Mitte der 1970er Jahre die Anzeichen für Umbrüche in den industriellen Beziehungen. Um 1975 setzte eine Trendwende bei den Beschäftigungszahlen und der Lohnentwicklung ein: Nach einer langen Wachstumsphase, begann die Zahl der Arbeiter nun zu sinken. Auch die Reallöhne stagnierten. In der ersten Hälfte der 1980er Jahren gerieten die Walliser Werke nicht nur in die roten Zahlen, auch mehrten sich die Friktionen zwischen Management und Gewerkschaften. Erstmals seit 30 Jahren scheiterten 1983 die betrieblichen Lohnverhandlungen, es kam zu Restrukturierungen und umfangreichen Personalentlassungen. Automatisierung, das Abschieben von Marktrisiken auf die Arbeitskräfte und die drohenden Betriebsschliessungen verunsicherten die Belegschaft. Die Angst vor der Deindustrialisierung überkam die ganze Region. Und die Gewerkschaft SMUV hatte mittlerweile das Standortdenken des Managements verinnerlicht. Vor diesem Hintergrund lancierte Alusuisse die neue Personalpolitik des Total Quality Managements, mit der das Unternehmen den Zugriff auf die subjektiven Potentiale und das Wissen der Arbeitskräfte stärken wollte.
Am Beispiel der Alusuisse zeigt das Forschungsprojekt, dass die Zeitspanne zwischen Mitte der 1970er Jahre und dem Ende der 1980er Jahren als arbeitshistorische Übergangsphase und ‹Inkubationszeit› des vermarktlichten Unternehmens des digitalen Finanzmarktkapitalismus zu verstehen ist, in der Arbeitsmanagement und industrielle Beziehungen neugeordnet wurden: Erstens mehrten sich seit den 1970er Jahren die Anzeichen für eine starke Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen Arbeit und Kapital. Zweitens wurde in den 1980er Jahren eine generalisierte Wettbewerbsordnung innerhalb des Unternehmens verankert: In einer dezentralisierten, zergliederten Unternehmensstruktur erhielten kleinere, marktnahe Unternehmenseinheiten mehr (Erfolgs-)Verantwortung, sie wurden durch Beratungsunternehmen durchleuchtet, mit quantifizierten Zielvereinbarungen angetrieben und anhand finanzmarktorientierter Kennzahlen verglichen und geprüft. In diesem System des Survival of the Fittest konkurrierten die Unternehmenseinheiten um Investitionsmittel und versuchten, Devestitionen oder Sparmassnahmen abzuwenden. Drittens setzte das Management ab Mitte der 1980er Jahre auf Formen der Personalführung, welche die Bewirtschaftung der subjektiven Potentiale und des Wissens der Arbeitskräfte in den Mittelpunkt rückten. Diese subjektivierenden Personalpolitiken waren nicht grundsätzlich neu, konnten sich aber angesichts der grassierenden Angst in der Belegschaft, der neuen vermarktlichten Steuerungsarchitektur und dem verallgemeinerten Standortdenken erfolgreich ausbreiten.