Helmut Berve. Eine intellektuelle Biographie

Abgeschlossenes Projekt, finanziert durch den Schweizerischen Nationalfonds (Juli 2014 – Juni 2017)

Projektleitung

Prof. Dr. Stefan Rebenich, stefan.rebenich@unibe.ch


Mitarbeiterin

Dr. des. Jasmin Welte, jasmin.welte@gmail.com
 

Die Fach- und Wissenschaftsgeschichte hat in den letzten Jahrzehnten auch in den Altertumswissenschaften an Bedeutung gewonnen. Nach wie vor fehlen jedoch Untersuchungen zu den führenden Repräsentanten der einzelnen Disziplinen, die auf einer systematischen Sichtung der erreichbaren Quellenbestände in den Archiven beruhen. Im Rahmen des Projekts sind das Leben und Werk von Helmut Berve (1896–1979), einem der bedeutendsten deutschsprachigen Althistoriker des 20. Jahrhunderts, untersucht worden.

Helmut Berve, dessen Karriere sich über 60 Jahre erstreckte, gehörte zu denjenigen Professoren, die sowohl an der Universität als auch in der Gesellschaft nachhaltigen Einfluss erlangten. Auf der Grundlage seines umfangreichen Nachlasses und seiner weit gespannten Korrespondenz wurde seine Entwicklung im Kaiserreich, in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik nachgezeichnet. In der Darstellung tritt das Biographische in den Hintergrund, während Berves intellektuelle und wissenschaftliche Entwicklung im jeweiligen politischen, kulturellen, sozialen und wissenschaftshistorischen Kontext verortet wurde. Zentral war die Rekonstruktion der erkenntnisleitenden Konzepte und Vorannahmen des Althistorikers; daneben interessierten seine Geschichtsschreibung und ihre Veränderung im Laufe der Jahrzehnte.

Helmut Berves Biographie eignet sich im besonderen Masse, um Beständigkeit und Wandel der deutschen Geschichtswissenschaft, ihre intellektuellen und wissenschaftlichen Voraussetzungen und die Ursachen der Kollaboration von Historikern mit dem nationalsozialistischen Regime zu klären, aber auch um Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert zu beurteilen. Seit Mitte der 1920er Jahre übte Helmut Berve durch seine Publikationen und eine engagierte Vortrags- und Lehrtätigkeit grossen Einfluss im wissenschaftlichen Feld aus. Seine akademische Karriere wurde zwar im Zuge der Entnazifizierung kurz unterbrochen; dennoch ist zu konstatieren, dass ihm über die Systemumbrüche hinweg eine herausragende Rolle innerhalb der deutschsprachigen Geschichts- und Altertumswissenschaften zukam. Das Augenmerk der vorliegenden Studie gilt indes der Entwicklung der Alten Geschichte in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland, die in der wissenschaftshistorischen Forschung erst in Ansätzen rekonstruiert worden ist.

Die Biographie bleibt folglich nicht beim Nachweis von Berves persönlicher Verstrickung in das nationalsozialistische Unrechtssystem stehen, sondern will vielmehr an seiner Person und an seinem Werk zeitbedingte Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der deutschen Geschichtsschreibung zeigen. Dieses Projekt versteht sich damit als ein notwendiger Beitrag zu einer kritischen Fachhistorie, für die es zwingend erforderlich ist, spezifische Denkfiguren und Deutungsmuster ihrer Repräsentanten zu ermitteln und historisch zu kontextualisieren, um als Korrektiv für die aktuelle Forschung dienen zu können. Es wurde exemplarisch gezeigt, dass die Geschichte der Disziplin, ihrer Fragestellungen und Methoden, ihrer Fortschritte und Irrtümer für die fachspezifische Methodologie ebenso sensibilisiert wie die wissenschaftstheoretische Reflexion. Schliesslich ist die intellektuelle Biographie eines der einflussreichsten Repräsentanten der deutschsprachigen Althistorie im 20. Jahrhundert ein wichtiger Beitrag zur Kultur- und Mentalitätsgeschichte dieser Epoche.

Die Dissertation wurde 2020 abgeschlossen und befindet sich in der Vorbereitung zur Publikation in der Reihe «Antike nach der Antike» bei Schwabe.