Benjamin Ryser
Die Berner Schultheissenfamilie von Erlach steht im Teilprojekt B für die Herausforderungen, die sich einer für die französische Krone tätigen Militärunternehmerfamilie aus der protestantischen Eidgenossenschaft in der Regierungszeit Ludwigs XIV. stellten. Das starke militärunternehmerische Engagement in Frankreich manövrierte die Familie in heikle machtpolitische Konflikte innerhalb des bernischen Patriziats, als die Expansion Frankreichs in die Freigrafschaft Burgund und ins Elsass sowie die Verfolgung der Hugenotten dem frankreichkritischen Lager in der eidgenössischen und bernischen Machtelite Auftrieb verliehen. Mit dem militärischen Engagement von Johann Jakob von Erlach (1628-1694) als Offizier einer illegalen Freikompanie im Feldzug gegen die Freigrafschaft und mit dessen Ernennung zum ersten Kommandanten des 1672 neu geschaffenen Berner Linienregiments, das der König gegen Holland einsetzte, wurden die Auseinandersetzungen der Familie mit den antifranzösischen Kreisen in Bern virulent. Das Zerwürfnis Berns mit dem selbstherrlich auftretenden Frankreich und die Sympathien der bernischen Obrigkeit für die holländischen Glaubensbrüder erschwerten die Rekrutierung von Soldaten für das Regiment von Erlach. Nachdem dieses wegen der anhaltenden Kritik aus Bern aus Holland abgezogen worden war, brach Johann Jakob mit seiner Vaterstadt. Er konvertierte zum Katholizismus, wurde Bürger von Freiburg i.Ue. und setzte seine steile militärische Karriere in Frankreich fort, blieb aber bis zu seinem Tod Inhaber des Regiments.
Das Dissertationsprojekt 3 untersucht am Beispiel der Karriere Johann Jakobs und weiterer Angehöriger der Familie, wie sich die konfessionspolitischen Bedingungen und die machtpolitische Konstellation in Bern auf das militärunternehmerische Engagement von Berner Patriziern in Frankreich auswirkten. Es erforscht den Umgang einer prominenten Militärunternehmerfamilie mit den multiplen Loyalitätskonflikten, die sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen militärunternehmerischen Interessen, innerbernischen Faktionskämpfen und zunehmender aussenpolitischer Distanzierung des Rats von Frankreich ergaben. Diese Problemstellung wirft verschiedene Fragen auf: Wie gestaltete sich die innerfamiliäre Verflechtung von Militärunternehmertum und Politik in Bern, die etwa mit Johann Jakobs Cousin, Venner (ab 1675 Schultheiss) Sigmund von Erlach (1614-1699), fassbar wird, der in Bern die politischen Voraussetzungen für die umstrittene Anwerbung des Linienregiments schuf? Wer waren die Gegenspieler der von Erlach, wie organisierten und begründeten sie ihren Widerstand? Wie geschlossen agierte der von Erlach’sche Familienverband in diesen Faktionskämpfen? Stiess das umstrittene militärische Engagement für Frankreich auf innerfamiliäre Kritik, etwa im Umfeld von Offizieren, die nicht in Frankreich dienten? Was bedeutete Johann Jakobs Konversion für die familiale Machtpolitik, büsste er damit doch jede Aussicht auf eine Ämterkarriere in Bern ein? War dieser Schritt mit der Familie abgesprochen? Warum folgten von Erlach und mit ihm weitere Angehörige seiner Familie nicht dem Beispiel anderer reformierter Militärunternehmer, die wie die Zürcher Werdmüller oder die Bündner Capol den französischen Dienst zugunsten eines Engagements in holländischen Diensten aufgaben? Handelte es sich beim Bruch Johann Jakobs mit Bern möglicherweise um eine subtile Diversifizierungsstrategie einer Familie, die ein eminentes finanzielles Interesse (künftige Gewinnchancen, ausstehende Guthaben etc.) daran hatte, weiterhin (mit einer katholischen Linie) in Frankreich zu dienen, ohne dabei in Bern, das sich der antifranzösischen Grossen Allianz annäherte, machtpolitisch an Einfluss zu verlieren? Welchen Einfluss übte die Familie weiterhin auf das Regiment aus? Verlor die bernische Obrigkeit jeden Einfluss auf das Regiment von Erlach in Frankreich? Gab es diesbezüglich Konflikte innerhalb der bernischen Machtelite (Besetzung von Offiziersstellen durch Berner Patrizier)? Welche Folgen zeitigte von Erlachs Eintritt ins Freiburger Bürgerrecht für die Beziehung zwischen Bern und Freiburg? Wer hatte in Freiburg ein Interesse, Johann Jakob als Bürger aufzunehmen und welchen Widerständen innerhalb des freiburgischen Patriziats sah er sich ausgesetzt? Wie reagierte insbesondere das Lager der Freiburger Militärunternehmer, die kein Interesse an einem Konkurrenten aus Bern haben konnten? In welchen Bevölkerungsgruppen und in welchen Regionen rekrutierte Johann Jakob nach seinem Glaubenswechsel und der Annahme des Freiburger Bürgerrechts die Offiziere und Soldaten seiner Einheit?