Projektinfo

Das Forschungsprojekt untersucht aus einer vergleichenden und transnationalen Perspektive den Einfluss der lateinamerikanischen Befreiungstheologie auf die Entwicklung sozialer Bewegungen in Ecuador und Peru von den 1960er bis zu den 1980er Jahren. Mittels einer interdisziplinären Verknüpfung sozial- und geisteswissenschaftlicher Methoden fokussiert das Projekt auf die Interaktion kirchlicher und weltlicher Akteure in zwei ausgewählten Untersuchungsregionen – die Provinz Chimborazo (Ecuador) und das Departement Cusco (Peru) – und fragt nach dem hierdurch ausgelösten Wandel von Diskursen und Praktiken auf Seiten der kirchlichen Akteure und der sozialen Bewegungen.

Der Einfluss von Klerikern auf die sozialen Bewegungen in Lateinamerika infolge des 2. Vatikanischen Konzils (1962-1965) und der Bischofskonferenzen von Medellín (1968) und Puebla (1974) ist zwar vor allem in der geschichtswissenschaftlichen, soziologischen und sozialanthropologischen Forschung verschiedentlich thematisiert worden. Dennoch gibt es bislang kaum Arbeiten, die sich mit den konkreten Einflüssen befreiungstheologischer Akteure und Diskurse auf die Entstehung bzw. Transformation sozialer Bewegungen beschäftigen. Die Erforschung der indigenen Bewegungen konzentriert sich wiederum insgesamt vornehmlich auf deren Hochphase seit den 1990er Jahren. Studien zur Befreiungstheologie fokussieren zudem stark auf deren herausragende Akteure und zentrale theologische Positionen. In diesem Forschungskontext geht das Projekt von der Hypothese aus, dass das befreiungstheologische Engagement in Lateinamerika von den 1960er bis zu den 1980er Jahren nicht nur für die organisatorische Entwicklung sozialer Bewegungen von grosser Bedeutung war, sondern auch für die Formierung und Transformation kollektiver Identitäten dieser Bewegungen. Die Auswahl der Fallstudien beruht zunächst auf der Tatsache, dass beide Untersuchungsregionen durch ein weitgehend von der hohen Kirchenhierarchie getragenes befreiungstheologisches Engagement geprägt sind. Darüber hinaus weisen beide Regionen einen bis in die Gegenwart anhaltenden hohen Anteil indigener Bevölkerung aus.

Der besondere Reiz der Vergleichskonstellation liegt darin, dass die pastoralen Diskurse und Praktiken im Kontext der Befreiungstheologie zwar in beiden Regionen zunehmend durch die Wahrnehmung und Wertschätzung einer als spezifisch indigen gedeuteten Kultur geprägt waren. Die von der Befreiungstheologie beeinflusste Mobilisierung und Identitätskonstruktion in den Landgemeinden hat jedoch nur in Ecuador bis zu den 1990er Jahren zur Entstehung einer über den lokalen Raum hinausgreifenden indigenen Bewegung geführt. Das Projekt fokussiert daher anhand der Untersuchung ausgewählter Landgemeinden auf (1.) die Entwicklung und Inhalte befreiungstheologisch orientierter pastoraler Diskurse und Praktiken sowie deren Einfluss auf (2.) den Entstehungs- und Transformationsprozess sozialer Organisationen und (3.) die Konstruktion und den Wandel kollektiver Identitäten.