Botschafter des Protestantismus. Aussenpolitisches Handeln von Zürcher Stadtgeistlichen im 17. Jahrhundert
Dissertationsprojekt
Laufzeit: 2015 bis 2020 (abgeschlossen)
Betreuung: Prof. Dr. André Holenstein (Bern)/Prof. Dr. Thomas Maissen (DHI Paris)
Die enge Verflochtenheit von Politik und Konfession kennzeichnet die Frühe Neuzeit insgesamt, und sie tut dies im Fall des eidgenössischen Ortes Zürich im Besonderen. Seit der Reformation genossen die Zürcher Geistlichen politische Mitspracherechte, die sowohl im eidgenössischen als auch im internationalen Vergleich als aussergewöhnlich zu bezeichnen sind. Während einige Formen der Einwirkung auf die Entscheidungen des Zürcher Rats – so etwa die politische Predigt und die sogenannten „Fürträge“ – bekannt sind, wurden andere Arten der politischen Einflussnahme in der Forschung bislang kaum thematisiert. Besonders die Aussenbeziehungen und die Verbindung einzelner Geistlicher mit ausländischen Diplomaten wurden bislang nur ungenügend aufgearbeitet. An diesem Punkt setzt das laufende Dissertationsprojekt an. Es untersucht, welche Rolle bestimmte Geistliche in der Diplomatie Zürichs im 17. Jahrhundert einnahmen und wie sich ihr Engagement insgesamt auf die Aussenpolitik ihres Standes auswirkte. Anhand von sechs Detailstudien, die jeweils auf Zeiten des intensiven Austauschs zwischen Zürich und fremden Mächten (darunter protestantische Reichsfürsten, die Niederlande, England und Schweden) fallen, soll das diplomatische Agieren von einzelnen Exponenten der geistlichen Elite – drei Antistites und drei Theologieprofessoren – deutlich werden. Im Zentrum stehen die (in- und ausländischen) Netzwerke der Geistlichen sowie die Praktiken, Medien und Kanäle ihrer Einflussnahme. Zudem interessiert das Verhältnis zwischen Religion und Politik respektive zwischen Geistlichkeit und Zürcher Rat sowie die Frage, wie der Rat die geistliche Mitwirkung beurteilte und welche Magistraten davon profitierten. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Studien- und Lehrjahre der Geistlichen im Ausland, die fester Bestandteil der kirchlichen und akademischen Laufbahn waren und es den Kirchenmännern ermöglichten, sich mit den wichtigsten protestantischen Zentren in Europa zu vernetzen. In Kombination mit der erheblichen Bedeutung der Konfession im politischen Diskurs wurde den Zürcher Geistlichen somit ein breites Aktionsfeld eröffnet, auf dem sie als Gesandte, diplomatische Broker, Meinungsführer und Informanten mitwirkten.
Die vaterländisch-patriotische Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts übersah dieses aussenpolitische Engagement von Geistlichen entweder ganz oder verurteilte es scharf, da die Geistlichen nicht selten die Anliegen einer transnational gedachten calvinistischen Glaubensgemeinschaft gegenüber den angeblichen „nationalen“ Interessen der (so noch nicht existierenden) Schweiz priorisierten. Transnationale Religionspolitik, grenzüberschreitende Glaubensgemeinschaft, europaweites Gelehrtennetzwerk – mit diesen Themenbereichen trägt die Arbeit aus politik-, diplomatie-, kirchen- und kulturgeschichtlicher Sicht zu einer transnational gedachten Schweizer Geschichte bei.