Mit Beispielen überzeugen. Rhetorik und politische Kommunikation in der athenischen Demokratie des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. (Arbeitstitel)
Dissertationsprojekt
Betreuung: Prof. Dr. Andreas Victor Walser, Prof. Dr. Thomas Späth
Reden waren das zentrale Medium der öffentlich-politischen Kommunikation in allen wichtigen Sphären der athenischen Demokratie im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. In der Volksversammlung, in Gerichtshöfen, bei Festen sowie Gedenkveranstaltungen für Kriegsgefallene wurde mittels Reden versucht, das Publikum zu erreichen und Zustimmung zu erhalten. Eine erfolgreiche Rede war besonders ausschlaggebend vor Gericht, da sie die Entscheidungsgrundlage für die einem Prozess zugeloste Richterschaft aus athenischen Bürgern darstellte. In den Volksgerichten Athens wurde nicht nur über Verstösse gegen Gesetze, sondern auch über die Konformität politischer Abläufe, neuer Gesetze und Dekrete sowie des Verhaltens jedes Bürgers in seinem öffentlichen Auftreten geurteilt. Dabei fällten dieselben Bürger als Geschworene Urteile, die auch an der Volksversammlung abstimmten und Kandidaten für jährlich ausgeloste und gewählte politische Ämter waren; eine Trennung im modernen Sinn zwischen Exekutive, Legislative und Judikative gab es im antiken Demokratieverständnis nicht. So bildeten die Volksgerichtshöfe als eigentliches Kontrollorgan des politischen Systems einen entscheidenden Raum der öffentlich-politischen Kommunikation in der antiken Demokratie.
Das Dissertationsprojekt leistet einen neuen Beitrag, um diesen Kommunikationsort, die darin verwendete spezifische Rhetorik und deren Wirkung in der athenischen Gesellschaft besser verstehen zu können. Dabei steht eine Analyse von Inhalten und Verwendungsweisen von Beispielen (gr. paradeigmata) im Zentrum, die neue Erkenntnisse bezüglich der rhetorischen Praxis politischer Kommunikation generiert. Daran können zentrale Einsichten gewonnen werden, wie Wissen und Erinnerungen zur Aktualitätskonstruktion und damit aktiven Meinungsbeeinflussung bei Entscheidungsfindungen in demokratischen Systemen mobilisiert und konstruiert werden. Methodisch wird das Konzept sozialer Gedächtnisse gesellschaftlicher Gruppen zur Betrachtung von Gegenwartskonstruktionen weiterentwickelt sowie mittels Ansätzen der Kommunikationswissenschaften die Konstruktion und Wirkungsweisen politischer Rhetorik untersucht. Damit soll die emotionale Steuerung des Publikums durch führende Staatsmänner mittels Framing von Beispielinhalten und der Gerichtsreden insgesamt sichtbar gemacht und aufgezeigt werden, wie Frames als thematische Deutungsrahmen in der politischen Rhetorik im antiken Athen konstruiert, in sozialen Gedächtnissen tradiert und in den Volksgerichtshöfen zur kurzfristigen Meinungsbeeinflussung aktiviert wurden. Darüber hinaus lässt die Betrachtung eines zentralen Mediums der Meinungsbildung in der antiken Demokratie Einsichten in Informationsverarbeitungsprozesse und Erinnerungskonstruktionen zu, die massgeblichen Einfluss auf Gegenwartseinschätzungen und Identitätswahrnehmungen hatten. Abschliessend können daran Überlegungen zu Parallelen und Unterschieden rhetorischer Form und Funktionsweisen öffentlicher Kommunikation vor Entscheidungsfindungen in antiken und modernen demokratischen Systemen gemacht werden.